Das Geheimnis der Ruder-Kontrolle: Driften statt lenken

Fühlst du die unendliche Kraft des Wassers unter deinen Fingerspitzen? Oder drehst du bloß den Bug? Die Crew spürt den Unterschied.

Jede Landratte hat den Dreh nach fünf Minuten hinter dem Steuer heraus. Doch warum hinterlassen so viele Segler eine geschlängelte Blasenspur als Fingerabdruck? Ist das Ruder nicht völlig intuitiv?

Es gibt ein Geheimnis, und ich enthülle es bei einer simplen Kurve. Der Wendekreis begeistert selbst routinierte Segler, wenn sie sehen:

Ein Boot wird gar nicht gelenkt, es wird gedriftet.

Ob dich dieses Wissen zum besseren Segler macht? Es ist der feine Unterschied zwischen reagieren und handeln.

Zusammen mit meinen vielen Praxis-Tipps spürst du das Boot ganz tief im Körper. Werde zum Hafen-Held, Kurs-König oder Böen-Baron! (Landratten bekommen hier die wichtigsten Ruder-Basics.)

Kannst du schon ohne Ruder lenken? Ab jetzt will die Crew nur noch dich hinter dem Steuer. Bring sie sicher durch Böen und auf effizientesten Weg zum Sundowner.

Das Ruder lenkt nicht.

Du hast richtig gelesen. Wie auch soll ein kleines Ruderblatt tonnenschwere Yachten im Kreis drehen? Ist diese Masse erst mal auf Kurs, wird sie ihn auch halten.

Ein Boot ist wie ein störrischer Esel. Für einen neuen Kurs brauchst du die Karotte.

Phase 1

Wir sind am Amwindkurs, volle Kraft voraus. Oh, oh. Das tonnenschwere Boot steuert auf die Küste zu. Wie kratzen wir die Kurve?

Natürlich, wir geben Ruder. Lenken wir nach Steuerbord, dreht sich das Blatt ebenfalls dorthin. Der Anstellwinkel erzeugt eine Wasserkurve um das Ruder und generiert Auftrieb. Diese Kraft zieht das Heck nach außen. Zu Beginn brechen wir aus der Kurve aus, statt sie zu fahren!

Wir haben das Boot erstmal erfolgreich eingedreht. Das ist die einzige Aufgabe des Ruders: Ein Drehmoment zu erzeugen, das heißt eine Kraft, die das Boot in einer Schrägstellung hält.

Es dreht so weit, bis es mit dem Fahrtwasser in Balance ist. Das nenne ich den Drift-Punkt.

Wie ein Go-Kart-Fahrer lassen wir das Heck ausbrechen und beginnen zu driften. Allerdings immer noch in Richtung Küste! Drehen können wir, eine Kurve fahren noch nicht.

Phase 2

Jetzt sieh dir mal den Rumpf an. Der komplette Rumpf und auch das Schwert driften quer im Fahrtwasser. Diese Schrägstellung muss doch auch etwas bewirken!

In der Tat. Was für das kleine Ruderblatt gilt, gilt für das ganze Boot tausendfach: Der Anstellwinkel erzeugt Auftrieb. Stell dir das Boot wie ein riesiges Ruderblatt vor.

Was nun geschieht, lenkt das Boot ein.

Wie es das Universum so will, fährt ein Körper nur dann im Kreis, wenn ihn eine Kraft zum Mittelpunkt zieht. Der gewaltige dynamische Auftrieb am Rumpf tut genau das. Er zeigt nach Steuerbord und zwingt uns in die Kurve.

Phase 3

Solange das Ruder eingedreht bleibt, solange dreht es zum aktuellen Drift-Punkt. Dieses Gleichgewicht zwischen Ruder und Boot bringt uns schlussendlich auf eine Kreisbahn.

Der Wendekreis

Selbstverständlich müssten wir für einen perfekten Kreis am Gas bleiben: Jeder Auftrieb erzeugt auch Strömungswiderstand. Je enger die Kurve, desto größer der Driftwinkel, desto höher die Verluste. Du siehst, nicht nur das mickrige Ruderblatt bremst im Fahrtwasser. Nein, viel schlimmer: Es ist das gesamte Boot!

Effizientes Segeln klappt also nur mit perfekter Kurs-Kontrolle. Ein minimalistisches Ruder ist dabei doppelt schneller: Es erspart dir die Schlangenlinien und stellt dich schnittig ins Wasser.

  • Wer zu viel lenkt, wird abgehängt!

Die Zeitreise

Warum nur ist Kurs halten so schwer? Wenn du es auf Seegang und Wetter schieben willst, dann klick ganz einfach auf das X in deinem Browser. Für den souveränen Griff am Steuer, lies weiter.

Wer den Wendekreis gesehen hat, kennt das Glatteis-Geheimnis, das viele Segler nicht bemerken. Sie steuern, als wären sie auf der griffigen Straße. Heftige Ruder-Schwünge gehören wohl dazu. Dabei ist das Leben hinter dem Steuer richtig gemütlich.

So ging es mir am Anfang. Um schnell wieder auf Kurs zu kommen, riss ich am Steuer. Die Trägheit lässt es anfangs wirkungslos dastehen. Also noch mehr Ruder und schwups, das Boot dreht mit Schwung. Kurs passt, Ruder gerade, doch es dreht noch weiter. Nun schnell Gegenruder und das Ganze wieder von vorne.

Auf halber Strecke drückte mein Skipper auf die Autopiloten-Taste. Mit einem Lächeln, bei dem sich nur die Mundwinkel bewegen, sagte er: „Du machst es eh gut. Wir haben es halt eilig.“

Am Wind kann der Geister-Pilot jedenfalls nicht drehen. Schön wär’s! Warum ist er trotzdem schneller? Also beobachtete ich:

Der Autopilot, mein Mentor

Einzelne, kleine Ruderkorrekturen bringen das Boot viel schneller auf Kurs als übereifrige Schwünge. Wir balancieren auf einem Drahtseil – die kleinsten Bewegungen müssen überlegt und präzise sein.

Die zeitliche Komponente ist anfangs nicht intuitiv. Beim Auto spürst du jeden Ruck am Lenkrad sofort. Ein Boot hingegen lenkt man immer ein paar Sekunden aus der Zukunft. Es ist eine permanente mentale Zeitreise.

Der Grund ist die Trägheit im Wasser. Im Auto können wir ganz einfach das Steuer neutral stellen und sind wieder auf Spur. Am Boot müssen wir den Drehimpuls erst aufbauen und dann rechtzeitig mit sanftem Gegenruder wieder abstoppen. Erst danach darf das Ruder wieder neutral.

Wer vorausschauend und gelassen fährt, hat viel mehr Spaß am Steuer. Mit wachen Augen antizipierst du die unberechenbare See. Sobald sich etwas ändert, hast du bereits reagiert. Klar, du weißt, dass das Boot kein flinker Kolibri ist, sondern ein sturer Esel.

Ruderdruck vermeiden

Für meinen Segellehrer gab es zwei Kurse: den Prosecco-Kurs und den Deppen-Kurs. Sanft schunkelndes Boot, laues Lüftchen, alles easy. Der Raumwindkurs ist ideal, um eine Flasche Prosecco zu köpfen!

Die entgegenkommenden Boote belächelte er spaßeshalber – sie segelten am Deppen-Kurs! Tja, gegen den Wind geht es ruppiger zu. Tiefe Krängung, wilde Böen und der Fahrtwind schmeißt dir scharfe Tröpfchen ins Gesicht.

Beim Amwindkurs bekommt das Boot ein Eigenleben und kämpft ständig gegen deine Linie. Du spürst es am andauernden Ruderdruck, um den Kurs halten zu können.

Der hohe Druck bedeutet: in einer Richtung bist du unflexibel, oft noch dazu unter starker Krängung. Die nächste Böe wird dein Boot drehen, wie sie will.

Das muss so nicht sein.

Erstens gönne ich dir einen Prosecco hinter dem Steuer und zweitens bremst jeglicher Ruderdruck das Boot. Vor allem: es gibt einen Sicherheitsaspekt.

Mit den Segeln steuern

Schon mal aufgefallen, dass ein Boot bei Böen gerne anluvt? Vielen passiert es vor allem beim Amwindkurs. Mit ein paar geschickten Handgriffen an den Segeln löst du das Problem.

Den Ruderdruck spürst du, weil der Wind das Boot drehen möchte. Nun, woher kommt das Ungleichgewicht?

Jedes Boot besitzt einen Drehpunkt, um den sich die Kräfte verteilen. Das Ruder am Heck verschafft uns einen langen Hebel zur Schiffsmitte. Deswegen dreht ein kleines Blatt ein großes Boot. Jetzt vergleich das mit der enormen Fläche unserer voll gesetzten Segel!

Mit dem Großsegel und dem Vorsegel können wir genauso steuern wie mit dem Ruder. Um das zu sehen, heben wir das Boot auf eine mechanische Waage.

Lass uns nur mit dem Vorsegel starten. Sobald es optimal auf den Halbwindkurs eingestellt ist, bekommt es ordentlich Druck vom Wind. Es erzeugt einen Hebelarm zum Drehpunkt, genau wie das Ruder.

Dieses Drehmoment macht uns Lee-gierig und wir brechen aus unserem Halbwindkurs aus. Willst du den Kurs halten, musst du permanent nach Luv steuern.

Setzen wir nur das Großsegel, geschieht das Ganze umgekehrt. Das Groß wirkt eher achterlich und gibt dem Wind einen Hebelarm am Heck.

Wir wurden Luv-gierig. Willst du den Kurs halten, musst du permanent nach Lee steuern.

Mehr Power im Segel bekommen wir mit einem größeren Anstellwinkel zum Wind (abfallen oder dichtholen), einer größeren Segelfläche und einer optimierten Anströmung. Weniger Power natürlich umgekehrt.

Die beste Balance ist nicht mittig

Mehr Power im Groß dreht uns in den Wind. Mehr Power im Vorsegel dreht uns aus dem Wind. Das sind die zwei Mechanismen, mit denen wir den Kurs beeinflussen, ganz ohne Ruder. Suche die perfekte Balance und trimme den Ruderdruck auf null!

… oder fast null. Ein Hauch von Luv-Gierigkeit ist praktisch. Ein sanfter Druck am Ruder gibt dir das nötige Feedback für eine präzise Steuerung. Auch der Kurs wird stabiler, da sich das Boot an der Windkante optimiert. Mit der Luv-Gierigkeit segelst du außerdem sicherer:

Alarm an Bord! Der Seilzug am Ruder ist gebrochen und der Steuermann über Bord. Eine Lee-Gierigkeit würde solch eine Stresssituationen verschlimmern, weil sie die Krängung erhöhen kann. Noch schlimmer wäre eine Patenthalse!

Deswegen segle ich mit einem Hauch von Luv-Gierigkeit. Anluven ist immer sicher. Außer, du rammst einen Nachbarn.

Böen-Meister werden: Timing ist alles

Windrichtung und -stärke bleiben nicht lange konstant. Eine Böe bringt unser empfindliches Gleichgewicht sofort ins Wanken. Das Besondere an Böen: die extreme Krängung verschiebt den Druckpunkt des Großsegels weit nach außen. Auch damit bekommt der Wind einen langen Hebel zum Drehpunkt und lenkt uns ab.

Wie kannst du am Steuer helfen, um die Crew sicher durch eine Böe zu bringen?

Drückt ein starker Windschub das Boot in eine tiefe Krängung, sinkt bei dir die Ruderwirkung. Das Ruderblatt ist ja genauso schräg wie das Boot und zieht nun weniger zur Seite und mehr nach oben. Da wir an der Wasseroberfläche festsitzen, zählt nur die Kraft zur Seite.

Den Sonnenschuss vermeiden

Wenn du jetzt nicht aufpasst, luvt das Boot unkontrolliert an: Du kommst vom Kurs ab, das Vorsegel killt, im Groß fällt der Druck und du verlierst Fahrt. Das Boot läuft dir aus dem Ruder. Dieses Phänomen heißt Sonnenschuss.

Um das Anluven auszubremsen, gibst du sanft Gegenruder – und zwar wieder eine Sekunde in der Zukunft. Den Zeitpunkt der Böe kannst du an dem anrollenden Schaumkamm abschätzen. Dein perfektes Timing wird dir die Crew mit einem verfrühten Anlegegetränk danken.

Schießt das Boot selbst bei hart gelegtem Gegenruder in den Wind, dreht sich die Crew natürlich zu dir um. Ich würde mit einer hochgezogenen Augenbraue zurückblicken. „Nicht ich, sondern ihr habt Zugzwang! Segeldruckpunkt optimieren!“

Ein gut getrimmtes Boot fährt mit so wenig Ruderdruck wie möglich. Dir ist klar, was dieser bedeutet: Auftrieb und damit bremsender Strömungswiderstand. Außerdem keine freie Hand für den Prosecco.

Hier ist die Essenz

Hättest du gedacht, dass ein Brett am Heck so komplex sein kann? Ich habe beim Schreiben auch einen tieferes Verständnis gewonnen. In der Praxis ist es viel leichter.

Das richtige Mindset hast du, wenn du die Drift am Heck fühlst, statt dich über den Bug zu wundern. Dann brauchst du noch ein gutes Gefühl für die Trägheit, besonders bei Drehungen. Achtest du nicht darauf, wirst du schnell zum Beifahrer.

Erkennst du den Auftrieb, stärkt das die Intuition. Ob man es versteht oder nicht, ist dem Boot jedoch egal. Über die einhergehenden Verluste hingegen beschwert es sich sofort. Diese sind mein eigentlicher Knackpunkt. Denke an die Breitseite, mit der sich ein Boot bei jeder Kurve durch das Wasser schiebt.

Möchtest du absolut effizient werden, dann musst du auch mit den Segeln lenken. Eine leichte Luv-Gierigkeit ist wünschenswert. Dafür brauchst du im Groß ein wenig mehr Power als im Vorsegel. Die Balance hilft dir durch Böen.

Die wichtigste Person an Bord

Wind und Wellen, Krängung und Kurs, Druck und Drift. Niemand spürt das Boot so tief im Körper, wie du am Steuer.

Während andere ihre Spezialaufgaben lösen, musst du die Gesamtheit des Segelns im Hier und Jetzt sowie aus der Zukunft erfassen.

Am Steuer bist du der Kompass der Crew. Auch im übertragenem Sinne. Ein eingespieltes Team vertraut auf die Intuition ihres Steuermanns, während dieser die Mannschaft liest. Die letzten Feinheiten der Effizienz entfalten sich nur durch gemeinsame Anstrengung.

Für mich ist das Steuer ein Ort der inneren Ruhe. Hier verschwimmen die Grenzen des Ichs und verschmelzen mit der Natur. Nirgends sonst spüre ich das Abenteuer des Lebens so unmittelbar.

Warum du am Steuer die wichtigste Person bist?

Bekanntlich ist der Weg das Ziel.

Tristan

Tristan

Als ICC-zertifizierter Skipper entdecke ich die Nuancen der Segelwelt. Entweder mit Leinen in der Hand, oder Tastatur unter den Fingern.