Was für eine blöde Frage!
Kennt doch jeder vom Flugzeug. Die Dings … die aerodynamische Flügelform. Oben schneller oder so. Ähm Druckunterschied. Bernoulli!
Als mir Auftrieb beim Flugzeug erklärt wurde, machte es sofort Klick im Kopf. Ist doch total einleuchtend! Beim Segel funktioniert es sicher gleich.
Doch warum plagt mich ein ungewisses Bauchgefühl? Stimmt etwas nicht?
Die gängige Erklärung verwirrt uns seit unserer Zeit auf der Schulbank. Sie ist wie ein glänzender, roter Apfel. Erst, wenn du hineinbeißt, erkennst du den Wurm.
Die verflixte Bernoulli Erklärung
Umströmt die Luft einen Flugzeugflügel, trennen sich die Luftstrahlen und möchten hinten wieder zueinander finden. An der bauchigen Oberseite des Flugzeugflügels muss die Luft schneller strömen als an der flachen Seite unterhalb.
Der Physiker Bernoulli zeigte uns: Die schnelle Luft oberhalb hat wenig Druck und die langsame Luft unterhalb hat viel Druck. Dadurch zieht es einen Flügel nach oben und ein bauchiges Segel zur Seite.

Was mich stutzig macht: Wo bleibt der längere Weg am hauchdünnen Segel? 0,3 Millimeter machen doch keinen Unterschied.
Die „Zeitgleiche-Ankunft-Erklärung“ klingt einleuchtend und ist in fast jedem Segler-Handbuch und sogar in Piloten-Lehrbüchern zu finden. Doch die Praxis im Windkanal zeigt:
Die zwei Luftstrahlen kommen überhaupt nicht zeitgleich an!
Was für eine Gehirnwäsche! Heute verbannen wir diesen Mythos aus den Physikbüchern in die Geschichtsbücher.
Die verborgene Wahrheit
Lass uns nach den Grundprinzipien suchen, die für uns Segler praktische Bedeutung haben. Wir brauchen:
- Das Prinzip der Auftriebskraft
- Die Wirkung auf das Segel
- Die Realität der Verluste
Mit diesem Wissen entfachst du nicht nur lebhafte Gespräche am Stammtisch. Wenn der Wind um die Ohren pfeift, verwandelt es ein diffuses Bauchgefühl in gefestigte Intuition.
1. Der Sog im Tornado zeigt die Auftriebskraft
Blicken wir von oben in einen Tornado, dann sehen wir Luft, die im Kreis strömt. Damit jedes Luftpäckchen auf einer Kreisbahn bleibt und nicht von seiner Fliehkraft weggeschleudert wird, muss es eine unsichtbare Gegenkraft geben. Es ist der Unterdruck, der nach innen zieht. Weiter außen herrscht also höherer Druck und somit spürt jedes Luftpäckchen eine Netto-Sog-Kraft.

Das bedeutet, auf einer drehenden Kreisbahn fällt der Druck mit jedem Millimeter Richtung Zentrum. Den sinkenden Druck zur Mitte siehst du auch in der Badewanne, wenn du den Stöpsel ziehst.
- Also: Druck sinkt, wenn wir in einen Kreis eintreten. Druck steigt, wenn wir einen Kreis verlassen.
2. Auftrieb beim Segel
Um was es mir eigentlich geht: auch ein Segel erzeugt diese „Luftkreise“. Jedenfalls Teilstücke davon. Der Effekt ist der Gleiche. Biegt sich die Luft, entsteht eine Kraft.
Messen wir den Druck im Rauchfaden-Bild oben, sehen wir 1 bar Atmosphärendruck. Bewegen wir uns zur Außenseite des Segels, fällt der Druck weiter und weiter, da wir in immer mehr „Kreise“ eintreten. Wir wandern in Richtung Sog.
- Schon haben wir Auftrieb! Juhu! Der Unterdruck zieht an der Außenfläche unseres Segels.

Unten im Bild funktioniert es umgekehrt. Wir starten bei 1 bar Atmosphärendruck und wandern nun hinauf zur Innenseite des Segels. Dabei verlassen wir „Kreise“, also muss der Druck steigen! Wir bewegen uns ja entgegen der Sog-Richtung.
- Auch unterhalb generieren wir Auftrieb! Der Überdruck schiebt die Innenfläche des Segels.
Auftrieb entsteht also durch zwei getrennte Effekte, die miteinander harmonisieren. Die resultierende Auftriebskraft zeigt dabei immer im rechten Winkel zur allgemeinen Strömungsrichtung. Wäre da nicht die harte Realität.
3. Der Kampf mit dem Strömungswiderstand
So ein schönes Stromlinienfeld bekommen wir natürlich nicht mit einer fliegenden Kartoffel.
Wir brauchen eine aerodynamische Tragfläche mit scharfer Hinterkante, an der sich Luftwirbel nicht halten können. Lösen sie sich vom Segel, bleibt ein geschmeidiges Strömungsfeld zurück.
In der Praxis erzeugt jeder noch so glatte Körper Strömungswiderstand. Diese Verlustkraft wirkt hauptsächlich parallel zur allgemeinen Strömungsrichtung (nach hinten).
- Aus Auftrieb und Strömungswiderstand entsteht die tatsächliche Strömungskraft.
Beim Amwindkurs spürt unser Segel diese Kraft quer zum Wind und ein bisschen nach hinten. Mehr Wind gibt mehr Auftrieb, jedoch auch mehr Widerstand. Die resultierende Kraft aufs Segel steigt, ihre Richtung bleibt allerdings relativ gleich.

Wie zieht uns das Segel selbst gegen den Wind? In diesem Beitrag zeige ich, wie wir in alle Richtungen segeln.
So nutzt du das Segel
Strömt die Luft auf einer Bahn, schleudert es das Segel aus der Kurve wie einen Schlitten im Eiskanal. Es ist tatsächlich die Kraft der Verbiegung, die uns mit Auftriebs-Energie beschenkt. Lass uns nun das Segel trimmen und den Auftrieb optimieren.
Anstellwinkel – unser wertvollstes Mittel
Vor allem der Anstellwinkel sorgt für eine starke Biegung in den Stromlinien. Halte die flache Hand Daumen voraus aus dem Autofenster und spüre den Auf- und Abtrieb … aus erster Hand.
Die Auftriebskraft steigt relativ linear mit dem Anstellwinkel. Mehr ist besser. Bis plötzlich die Strömung von der Tragfläche abreißt und in turbulente Wirbel zerfällt. Ab diesem Zeitpunkt sinkt der Auftrieb rasant auf 0. Eine bedrohliche Situation im Flugzeug. Am Segel warnen uns die Windfäden.
- Ist der Anstellwinkel zu steil, flattert der vordere Leefaden.
Beim Amwindkurs braucht das Segel immer einen gewissen Anstellwinkel zum Wind. Wir wollen viel Auftrieb, aber keinen Strömungsabriss.
Deswegen holen wir es immer dichter ans Boot, je höher wir gegen den Wind segeln. Vergleich doch mal den Amwindkurs mit dem Halbwindkurs. Hier siehst du einen Grund, weshalb wir die Segel anpassen: Wir möchten einen gewissen Anstellwinkel beibehalten.

Segelform – die Optimierung
Eine leicht bauchige Segelform glättet die Anströmung und leitet sanft die Krümmung ein. Als schöner Nebeneffekt unterstützt sie damit den Auftrieb. Ihr Nachteil: mehr Strömungswiderstand.
Als Kompromiss kombinieren wir die Segelform und den Anstellwinkel zu einer aerodynamischen Tragfläche. Nicht zu bauchig, nicht zu steil. Der Luftstrom soll sich schön an die Segelform anschmiegen.
Bernoulli, Bernoulli, Bernoulli
Wenn er nur wüsste, wie wir ihm die Formeln im Mund umdrehen!
Warum mir das so wichtig ist? In unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu denken, ist in der Praxis komplett nutzlos! Doch sobald du die Krümmung des Windes erkennst, findet sich die optimale Segelstellung von alleine.
Das faule Papier-Experiment
Es frustriert mich extrem, wenn Auftrieb mit Bauchgefühl-Wissenschaft erklärt wird und dann das Papier-Experiment „beweisen“ soll. Da wäre mir lieber, man begründet es gleich mit Magie!
Der Trick geht so:
Nimm ein Blatt Papier, führe die Kante zu deiner Unterlippe, richte den Blick nach vorne und puste entlang der eingedrehten Oberseite. Die schnelle Atemluft oberhalb erzeugt einen Unterdruck und zieht das Blatt nach oben! Jetzt wirf ein schlaues Wort in die Menge: Bernoulli. Und alle glauben dir.

Was dir verschwiegen wird: Mit einem glatt nach unten hängenden Blatt funktioniert das nicht mehr. Hier ist also der Druck auf beiden Seiten trotz unterschiedlicher Geschwindigkeiten gleich.
Aha! Das Geheimnis ist also das gebogene Profil, nicht die schnelle Luft! Das Strömungsfeld muss sich krümmen. Nur so entsteht Auftrieb.
Was Bernoulli meinte
Behaupte ich gerade schlauer, als Bernoulli zu sein? Nein, vermutlich hatte seine kleine Zehe mehr Grips als ich. Er betrachtete allerdings immer nur den Druckverlauf entlang einer einzelnen Stromlinie. Es gibt keinen Vergleich zu Nachbarn (z.B. auf der anderen Segelseite).
Tatsächlich beschleunigt die Luft über die Segelaußenseite, weil dort der Druck fällt. Bernoulli pur. Doch für uns Segler bleibt dieser Effekt bloß eine interessante Nebensache. Der Grund für Auftrieb ist ein anderer.
- Falls du jemanden von der Bernoulli-Gehirnwäsche befreien willst, teile meinen Artikel! Ich freue mich, denn dafür habe ich einige Tassen Kaffee gekippt.
Auftrieb wirkt überall
Wissen ist gut, Erfahrung ist wichtig. Zusammen verleihen sie uns Intuition. Das eigentliche Gefühl, hinter dem wir her sind.
Aerodynamischer Auftrieb geschieht nicht nur direkt an der Oberfläche. Seitdem ich den weiten Luftraum wahrnehme und mir Krümmung und Widerstand vorstelle, kommt mir das Trimmen ganz natürlich.

Diese Intuition nutze ich überall am Boot. Sogar Kiel und Ruder brauchen Auftrieb. Anders könnten wir das Boot nicht einmal einlenken. Lies dazu meinen Artikel.
Segeln lebt von Effizienz. Nur wer den wahren Auftrieb spürt, stellt sein Segel perfekt in den Wind.
Die einen kämpfen gegen Verluste, die anderen segeln frei wie ein Vogel.