Rollt eine schwarze Gewitterfront auf dich zu, bleibt dir nur eines: Durchhalten.
Bereits der Gedanke hebt die feinen Haare im Nacken, als wären sie statisch aufgeladen.
Bei meinem ersten Gewitter wanderte mein Blick den meterlangen Metall-Masten hinauf und endete bei der leuchtenden Wolkendecke.
Schlafe ich heute unter einem Blitz-Magneten?

Nein, so gefährlich kann es wohl nicht sein. Flugzeuge halten sich doch selbst im Herzen einer Gewitterwolke am Himmel. Und im leitenden Wasser? Hm.
Wenn du alles richtig machst, ist das Leben unter Deck sogar bei Donnergrollen ganz entspannt. Wir besprechen die tatsächlichen Gefahren, damit du gemütlich deine heiße Schokolade genießen kannst, während der Regen auf das Deck prasselt.
Heute bin ich voll in meinem Element: als Skipper und Elektroingenieur. Dennoch, Gewitter sind phänomenale Naturgewalten und pures Chaos. Was tatsächlich mit deinem Boot passiert, entscheidet allein Thor. Du bekommst hier nur meine Sicht der Dinge und keine Beratung.
Wie wahrscheinlich ist ein Blitzschlag?
Laut den Experten für Blitzschutz und Blitzforschung werden in Deutschland ca. 110 Menschen pro Jahr vom Blitz getroffen, 4 von ihnen tödlich. Bei 80 Millionen Einwohnern bedeutet das eine Wahrscheinlichkeit von 1 : 727.000 von einem Blitz getroffen zu werden.
Die Einschlaghäufigkeit hängt natürlich von der Region ab. Es gibt gewisse Hotspots, z.B. am Maracaibo-See in Venezuela. Dort blitzt es fast täglich!
Wie sieht es am Meer aus? Eine Studie einer Hebräischen Universität entdeckte, dass salzhaltige Meeresluft der Gewitterwolke beim Regnen hilft. Die Salzkörner aus der Gischt fördern größere Tröpfchenbildung. Dadurch beginnt es früher zu regnen und die Gewitterspannung baut sich erst gar nicht so hoch auf.
Die Gischt verhindert somit bis zu 90 % der Blitze am Meer.
Ein Blitzeinschlag auf See ist also äußerst unwahrscheinlich. Solltest du ein „Mich-Trifft’s-Immer-Mensch“ sein, interessiert dich der Fall der Fälle vielleicht trotzdem.
Eiskristalle erzeugen Gewitterspannung
Warme Luft hat zwei ganz besondere Eigenschaften. Sie ist leicht und feucht. Deswegen werden wir Segler nervös, wenn der Druck plötzlich fällt: Das bringt Wolken.
Steigt das Päckchen warme, feuchte Luft nach oben wie ein Heißluftballon, kühlt es langsam ab und schrumpft. Die feinen Wassertröpfchen werden herausgepresst, wie aus einem Schwamm; es entsteht eine Wolke. Noch ist sie gut gelaunt.
Trifft die Quellwolke andere Kollegen, kann sie zu einer tiefen Regenwolke wachsen (Cumulonimbus). Die Wassertröpfchen werden dicker und dicker und können sich bald nicht mehr in der Luft halten. Die Stimmung der Wolke verschlechtert sich. Es beginnt zu regnen.

Vor allem tiefe Cumulonimbus Wolken können sich elektrisch aufladen. Das passiert, wenn Eiskristalle und Graupel (ähnlich zu Hagel) innerhalb der Wolke kollidieren.
Die leichten Eiskristalle sammeln beim Zusammenstoß positive Ladungen und steigen mit dem Aufwind auf. Graupel bekommt die negativen Ladungen und sinkt durch die Schwerkraft ab. Die Ladungstrennung erzeugt gewaltige Spannungen innerhalb der Wolke sowie zwischen Wolke und Erde.
BOOM! Zu viel Spannung. Die Luft ist ionisiert und erzeugt einen Plasmakanal.

Ein Blitzschlag auf See ist extrem zerstörerisch
Sollte die Gewitterwolke genau über dir entladen, gefällt ihr der hohe Mast vermutlich am besten. Ein Blitz direkt an Bord ist natürlich katastrophal. Neben der unmittelbaren Gefährdung der Crew könnte vermutlich alles passieren, was du dir gerade vorstellst. Im schlimmsten Fall schlägt der Blitz ein Loch in dein Boot und lässt es sinken. Feuer sind selten, aber möglich.
Das Schlimme ist: Ein Blitz muss nicht mal das Boot treffen, um gewaltigen Schaden anzurichten. Es genügt bereits ein lauter Knall in der Nähe und schon qualmt deine Bordelektronik.
Der Blitz vom Blitz legt alles lahm
Stell dir die gewaltigen Dimensionen von Wolken einmal vor! Ein riesiger Airbus mit 853 Passagieren verschwindet im Wolkenmeer wie ein Sandkorn am Strand. Gewitterwolken horten unfassbar viel Energie.
Ein mittlerer Blitz entlädt bei 300 Millionen Volt und generiert dabei 30.000 Ampere. Wow! Dieser gigantische Strom fließt zwar nur einen Bruchteil einer Sekunde, aber das ist das Problem.
Die Stromänderung von 0 Ampere auf 30.000 und wieder auf 0 innerhalb weniger Millisekunden erzeugt ein exorbitantes Magnetfeld. Es explodiert aus dem Blitz wie eine unsichtbare Schockwelle und kollabiert anschließend mit enormer Wucht. Koppelt dieses Magnetfeld in unsere Bordelektronik ein, erzeugt es wiederum einen starken Strom mit hoher Spannung.
Es ist fast so, als würde der Blitz einen zweiten Blitz per Wi-Fi senden!
Das war’s. Batterien qualmen, Kabel sind durchgeschmort, Navigationsinstrumente zum Wegschmeißen und alle Handys sind tot. Geräte vorher ausschalten? Bringt nichts!

Diesen heimtückischen Effekt sah ich am Ende eines Coax Kabels meiner Mastantenne:
Die Wolken leuchteten wie orange Zuckerwatte. Im Hafen herrschte noch die Ruhe vor dem Sturm. Was meine Ohren erst Sekunden später hörten, sahen meine Augen sofort: Mit jedem Blitzschlag sprang auch ein blauer Funken zwischen dem kupfernen Kern des Kabels und seiner äußeren Schirmung über. Zzt! Das Gewitter kommt näher.
Ziehen Segelmasten Blitze an?
Ein Regenschirm soll ja bereits gefährlich sein. Wie sieht es dann mit unserem meterlangen Metallmast aus? Ein Magnet für Blitze?
Wer das behauptet, weiß von Blitzen nur so viel, dass sie leuchten und knallen. Mein Modell zeigt dir viel mehr:
Eine negativ geladene Gewitterwolke induziert unter sich positive Ladungen im Meer. Holt dich die Wolke ein, wandern die positiven Ladungen auch auf dein geerdetes Boot.

Der positive Mast zieht nun die negativen Ladungen in der Luft an und wandelt beide in einen kleinen Strom um. Dieser fließt zwischen Boot und Luft – in Extremfällen ein ziemlich cooler Anblick. Einmal sah ich blau-violette Plasma-Blitze knisternd aus einem Blitzschutz strömen.
Die negativen Ladungen werden also pausenlos aus der Luft abgesaugt und als Strom eliminiert. Ohne sie gibt es auch keinen Plasmakanal für den Blitz. Ein Mast erzeugt dadurch einen 45° Schutzkegel von der Mastspitze beginnend nach unten. Blitze suchen sich somit hoffentlich Zonen mit mehr freien Ladungsträgern aus.
Also nein, Segelmasten ziehen keine Blitze an. Im Gegenteil! Sie bauen überschüssige Ladungen in der Luft ab. Doch verlässlicher Blitzschutz ist das noch lange keiner. Meeresblitze sind gewaltig und springen unvorhersehbar umher. Du kannst Thor auch an einem schlechten Tag erwischen.
Ist ein Segelboot ein Faradayscher Käfig?
Das würde die Kabine zum sicheren Ort machen.
Leider nein, ein Segelboot ist kein Faradayscher Käfig! Nicht einmal ein Schlechter.
Häufig verwechseln Segler den Faradayschen Käfig mit Blitzschutz am Boot: Der Mast ist geerdet, die Wanten und Stage präsentieren sich wie schützende Blitzableiter über unseren Köpfen und der Rumpf schwimmt im gut leitenden Meer. Sollte ein Blitz einschlagen, wird er wohl das Innere verschonen. Ein Faradayscher Käfig eben – nein!
Sehen wir mal, was Faraday dazu sagt:
Im Inneren eines durch einen elektrischen Leiter umgebenden Volumens tritt kein elektrisches Feld auf.
Michael Faraday

Sprich: eine hohle Metallkugel ist im Inneren feldfrei. Kein Feld, kein Blitz.
Da sehe ich schon das erste Problem. Wir sind am Segelboot ganz sicher nicht komplett von einem Leiter umgeben wie in einem Flugzeug. Gewisse Löcher im Gitter sind zwar erlaubt, aber ein Segelboot ist als Faradayscher Käfig so effektiv wie ein Nudelsieb als Vase.
Elektrogeräte sind im Ofen nicht sicher
Der zweite häufige Irrglaube: ein Faradayscher Käfig könne die gefährlichen Magnetfelder von Blitzen abschirmen. Teste es selbst! Ein Kompass funktioniert auch im Ofen perfekt und sogar dein Handy wird seine elektromagnetischen Funkwellen empfangen. Nur ein komplett geschlossener, super leitender Hohlkörper kann dynamische Magnetfelder abschirmen. „Wi-Fi-Blitze“ sind eben bissig.
Im heftigen Gewitter kommen bei mir trotzdem alle mobilen Elektrogeräte in den Backofen. Vielleicht stehen die Sterne gerade richtig …
Handy in Alufolie wickeln? Damit ein Farday-Käfig tatsächlich wirken kann, müssen im Material gewaltige Ausgleichsströme fließen. Die dünne Metallfolie ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aluhüte dürfen also zu Hause bleiben.
Verhaltensweise bei Gewitter
Falls du es gerade abwiegst, vielleicht doch auszufahren: sieh dir die Blitze lieber digital an: hier ein live Blitz Radar.

Regel Nr. 1: Bei Sturm fahre ich nicht aus.
Die wirkliche Gefahr ist nicht ein Blitzschlag, sondern der Sturm. Da er meist im Wetterbericht angekündigt wird, hat der Skipper vermutlich etwas falsch gemacht.
In einem Ernstfall ist jede Crew mit dem Safety-Protokoll gewappnet. Hier sind ein paar Sofortmaßnahmen fürs Gefecht.
1. Bewegung an Deck
Achte darauf, keine Metallteile wie den Heckkorb, Reling, Wanten und Stage anzugreifen. Diese könnten durch die elektrostatische Aufladung unterschiedlich geladen sein und sich über dich ausgleichen. In Extremfällen strahlen die Teile blaue „Flämmchen“ ab – ein Vorbote der anrollenden Gewitterwolke.
Einer muss sich natürlich ans (geerdete) Steuerrad klemmen und Poseidon bezwingen!
2. Motor einschalten
Ein Blitzschlag kann die Batterien für immer zerstören. Warmes Bier sind deine geringsten Sorgen, denn ohne Strom kannst du den Motor nie wieder starten. Auf die Segel würde ich mich auch nicht verlassen. Sollte der Sturm sie nicht bereits zerrissen haben, kann sie nur eine Crew mit stählernen Nerven bedienen.
Ohne Antrieb und Steuerung bist du eine Gummiente am Meer. Nur, dass diese nicht untergeht.
3. Segel bergen oder Beiliegen
Regel Nr. 2: Die richtige Zeit zum Reffen ist, wenn du das erste Mal daran denkst.
Dieser ikonische Spruch begleitet mich jeden Törn. Der Reiz, den einen oder anderen Knoten aus dem Wind zu gewinnen, ist immer da.
Es ist einfacher, die Segel wieder zu setzen, als sie bei Sturm zu bergen. Das hat einen simplen Grund: Die Kräfte auf unsere Segel steigen exponentiell mit dem Wind an. Eine 5 Knoten Böe bemerkst du bei 10 Knoten Wind kaum. Ein plötzlicher Schub von 30 Knoten auf 35 Knoten? Die Hölle!
Gewitter bringen gewaltige Kräfte mit sich, die chaotisch umher tanzen. Wer früh bergt, bringt früh Ruhe in die Crew. Ab nach Hause!

Eine erfolgreiche Sturmtaktik: Beiliegen.
Diese Segelstellung bringt Ruhe und Stabilität in Zeiten des Chaos. In meinem Artikel erfährst du alles.
4. Den Hafen anfahren
Hat dich der Sturm erwischt, ist sicheres Anlegen kaum möglich. Dann heißt es draußen überleben! Besser frühzeitig reservieren und ab nach Hause … wenn du überhaupt noch einen Platz bekommst. Diese Idee hat bei Gewitter jeder.
Im Hafen angelangt würde ich im Regelfall sogar wenn es blitzt an Bord bleiben. Die vielen Masten arbeiten gemeinsam daran, elektrostatische Ladungen abzubauen um den Blitz abzuwehren. Andere fühlen sich mit festem Boden und einem Dach über dem Kopf wohler.

Keine Panik auf der Titanic!
Gewartete Blitzschutzsysteme gibt es auf Charteryachten nicht immer. Grund zur Sorge?
Berufene Seenomaden, die uns Landgänger hinter sich gelassen haben, erleben alle paar Jahre einen Blitzeinschlag. In den meisten Fällen muss „nur“ die Bordelektronik ausgetauscht werden.
Im Gewitter zu segeln, ist selbstverständlich immer gefährlich. Ein tatsächlicher Blitzeinschlag ist dennoch äußerst unwahrscheinlich. Der wahre Feind bleibt der unberechenbare Sturm. Wer vorausschauend und defensiv segelt, hat eigentlich nichts zu befürchten.
Vom Blitzeinschlag auf See gibt es gleich viele Mythen, wie vom Donnergott selbst. Dabei ist alles, was du tun musst, ihn nicht herauszufordern.